Schreiben ist wie Beton.

06. Juli 2015. Sechsundzwanzig Buchstaben plus Umlaute, plus Eszett genügen, um die ganze Welt zu beschreiben – jedenfalls in der deutschen Sprache. In den anderen Sprachen sind es ein paar mehr oder weniger. Die Erfindung des Alphabets ist zwar eine beachtliche Kulturleistung des Menschen, doch wer wäre schon in der Lage, die ganze Welt zu beschreiben? Das schafft nicht einmal das Internet mit allen seinen Inhalten, obwohl dieses letztlich sogar nur zwei Zeichen braucht, nämlich 0 und 1. Gut, mit den Buchstaben allein ist es auch nicht getan. Denn weil wir Menschen dazu neigen, alles ganz genau zu nehmen und damit zwangsläufig alles komplizieren, setzen wir auf unser Alphabet ein immenses Sprachgebäude mit zigtausenden von Wörtern, mit einer Grammatik, die kaum ein normal Sterblicher fehlerfrei beherrscht, mit Rechtschreib- und Ausspracheregeln, an denen die Schreibfedern und Zungen jener zerbrechen, die unsere Sprache erlernen wollen. Ja, und dann kommt noch die Semantik dazu, die Lehre von der Bedeutung der Wörter – isoliert oder im Kontext. Und was ist mit dem Stil, der mehr oder weniger eleganten Hülle eines Textes? Wer vor diesem Hintergrund einen zusammenhängenden Satz mit mehr als fünf Wörtern und mindestens einem Komma formulieren kann, und diesem Satz auch noch einen allgemein verständlichen Sinn mitgibt, darf glauben, dass er schreiben kann. In gewisser Weise stimmt das ja auch. Aber es gibt Unterschiede, zum Beispiel zwischen den beiden Sätzen “Ein schöner Frühlingstag, die Sonne scheint” und “Der Tag hatte seine allerfeinste Frühlingsgarderobe angelegt.” Da wird in etwa klar, was ein Werbeslogan in den 1980er Jahren ausgerechnet für den Baustoff Beton gemeint hat: “Es kommt darauf an, was man daraus macht.” Es muss also nicht jeder glauben, er könne texten oder wäre schon als Werbetexter geboren, nur weil er in der Schule schreiben gelernt hat.